Einsatz der Sozialpädagogen: Unterschied zwischen den Versionen
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Aktuelle Version vom 9. November 2022, 15:57 Uhr
Einsatz der Sozialpädagogen
Die Gesamtschule startete von Anfang an als Ganztagsschule. Als Personal auch für den Ganztag standen nur Lehrer zur Verfügung. Die mussten dann die Arbeitsgemeinschaften (AGs) und Offenen Angebote (OAs) organisieren und durchführen.
Die für die Organisation eingesetzten Lehrer stellten dann schnell fest, dass sie dafür eigentlich nicht ausgebildet waren und kamen auf die Idee, dass sie Sozialpädagogen brauchten.
Und so wurden in dieser Zeit des Schulversuchs (Grundmodellphase genannt) an den Versuchsschulen in NRW insgesamt etwa 26 Sozialpädagogen eingestellt. Deren Arbeitsverträge waren auf das Ende des Schuljahrs 1979/80 (Ende der Grundmodellphase)terminiert.
Im Sommer 1980 konnte niemand sagen, ob die Verträge tatsächlich verlängert werden würden. An der GSW waren damals Jürgen Krüger und Gregor Preis beschäftigt. Sie haben dann nach den großen Ferien weitergearbeitet und im September 1980 tatsächlich unbefristete Arbeitsverträge bekommen.
In dieser Zeit gab es für die Sozialpädagogen in ihrer Umgebung die Standard-Frage: „Wo arbeitest du? An einer Schule? Als Sozialpädagoge? Was machst du denn da?“
Diese Reaktion verlor sich dann spätestens Anfang der 90er Jahre, als die gesellschaftliche Entwicklung den Einsatz von Sozialpädagogen an Schulen immer notwendiger machte. Heute (2022) müssen sich Schulen eher fragen lassen, warum sie denn keine Sozialpädagogen in ihrem Kollegium haben.
Von Anfang an waren Sozialpädagogen nicht nur für den Ganztag, sondern natürlich auch für alle Schüler zuständig, die Schwierigkeiten im sozialen Umgang hatten: zu laut, zu leise, zu unruhig, zu ruhig, oft in Streit verwickelt, oft von anderen schlecht behandelt (der Begriff „Mobbing“ war damals noch unbekannt, das Verhalten schon).
Die Ideen, wie man mit diesen Schülern und Schülerinnen umgehen konnte, mussten erst entwickelt werden. Nach wenigen Jahren wurde an der GSW auch mit Hilfe einer Sonderschullehrerin (die hießen damals noch so) ein Konzept entwickelt, das die Schüler und Schülerinnen von ihrem ersten Schultag an der GSW aufnehmen konnte.
In Absprache mit der Abteilungsleitung und den Klassenlehrern wurden die Sozialpädagogen jeweils einer Klasse zugeordnet, in der sie die Schüler in ihrem ganzen Schulleben (also von Jahrgang 5 bis Ende 10) begleiten sollten. Also das Prinzip: eine Gruppe, ein Betreuer. Wenn sich später herausstellte, dass der Schüler oder die Schülerin mit einem anderen Betreuer besser klar kam, dann wurde dem auch stattgegeben. War aber eher selten.
Sehr geholfen bei diesem Prinzip hat natürlich, dass das Team (Inge Kasner, Jürgen Krüger und Gregor Preis) über mehr als 20 Jahre konstant war. So gab es auch im 10ten Schuljahr noch den Sozialpädagogen, der sich an die Schulzeit eines Schülers ab Jahrgang 5 erinnern konnte. Wurde gerade dann gebraucht, wenn die Klassenleitungen gewechselt hatten und es in den oberen Jahrgängen Probleme gab. Erinnerungen, die in keiner Schulakte standen, waren hier gefragt. Welche Probleme gab es früher, was hat geholfen, welche Konflikte mit Mitschülern gab es, welche Hobbies oder Mitschüler hatten einen positiven Einfluss, wie erfolgreich war die Zusammenarbeit mit den Eltern und so weiter.
In den Jahrgängen 5 und 6 wurden in jeder Klasse in Absprache mit den Klassenlehrern Fördergruppen gebildet. Die trafen sich in einer Stunde pro Woche und versuchten, die anliegenden Probleme zu bearbeiten. Die Ergebnisse kamen jedes mal in den Zeugniskonferenzen zur Sprache und wurden je nach Erfolg überarbeitet.
Wichtig war hier auch die Bearbeitung von Konflikten und Streit. Ein Beispiel ist der Konflikt zweier Jungen derselben Klasse, der sich schon seit der Grundschule hinzog. Streit in der Schule, auf dem Nachhauseweg mit Tätlichkeiten, Beleidigungen und auch Streit zwischen den Eltern waren praktisch die gesamte Grundschulzeit an der Tagesordnung. Im 5. Schuljahr genügte dann schon ein falscher Blick, um den Streit aufflammen zu lassen. Wie sich herausstellte lag der Anfang in der Weihnachtsfeier(!) im ersten Schuljahr. Die beiden konnten sich im 5. Schuljahr nur mit Mühen daran erinnern, worum es eigentlich gegangen war. Aber klar war, sie hatten Streit. Innerhalb einiger Wochen konnten sich die beiden darauf einigen, wie sie damit umgehen wollten, wenn wieder Streit in der Luft lag. Durch einfache, aber deutliche Handzeichen lernten sie, sich aus dem Weg zu gehen (als Schüler in einer Klasse!) und den Streit zu beenden.
In jeder großen Pause waren die Sozialpädagogen für die Schüler erreichbar: eine stets offene Tür. Die wurde höchstens mal geschlossen, um komplizierte akute Probleme zu bearbeiten (war selten nötig, kam aber vor). Eine Schülerin, die sehr gut zeichnen konnte, zeichnete die Steine in der Wand vor unserer Tür mit dem Kommentar: „Auf diese Steine können Sie bauen!“
Wie groß die Hemmung war, Erwachsene und eben auch die Sozialpädagogen anzusprechen, zeigte sich häufig in der folgenden Szene: „Große Pause, Tür ist sperrangelweit offen, 8 bis 10 Schüler aus verschiedenen Jahrgängen sind im Raum. Ich habe immer so gesessen, dass ich die Tür sehen konnte. Dann passierte folgendes: ein Gesicht erscheint im Türrahmen, guckt in den Raum und verschwindet sofort wieder. Eine halbe Minute später wieder, diesmal etwas länger so dass ich sagen kann: „Komm rein!“ Aber ohne Erfolg. Eine Minute später taucht das Gesicht wieder auf und der Schüler oder die Schülerin kommt tatsächlich rein. Auf die Aufforderung, zu sagen, was sie oder möchte, druckst er oder sie etwas herum und dann kommt: „Ja eigentlich geht es gar nicht um mich, aber meine Freundin hat da ein Problem und wir wollten Sie fragen, was sie da tun kann.“ Und dann kommt die oder der Betreffende, um den es eigentlich ging, herein. Stand nämlich die ganze Zeit auf dem Flur und hat sich nicht getraut, herein zu kommen. Wie heißt noch mal der Fachausdruck: die Notwendigkeit von niederschwelligen Angeboten im Beratungsbereich!“ (Gregor Preis)
Eine wichtige Aufgabe bestand auch darin, die Rolle der Sozialpädagogen im Kollegium zu finden. Es gab keine direkten Vorbilder, nur das Arbeitsrecht definierte einige Dinge. So war bald klar, dass sie nicht für den Einsatz im normalen Stundenplan eingeplant werden konnten.
Auch im Umgang mit Kollegen und Schülern musste sich diese Rolle erst entwickeln. Die Sozialpädagogen waren nicht zusätzliche Lehrer. Ihre Rolle bei der Beurteilung von Schülern war eine völlig andere: Zeugnisse und Noten im Blick, aber darüber hinaus die Beurteilung des sozialen Umfeldes, der Rolle in einem Klassenverband, die Kenntnis sozialer Kränkungen aus Umfeld oder Grundschule, Faktoren zu kennen, die Lernen behindern (ohne die definierte Lernbehinderung zu sein), und vieles mehr.
Hierbei war der Ganztag eine wichtige Bereicherung: Misserfolg im Unterricht konnte hier neben die Fähigkeiten in anderen Lebensbereichen gestellt werden. Schüler konnten sich hier ganz anders zeigen und echte Anerkennung erleben. Zusätzlich positiv konnte sich hier auswirken, wenn die gleichen Lehrer, die die Misserfolge der Schüler aus dem Unterricht nur zu gut kannten, im Sport oder bei handwerklichen Tätigkeiten dieselben Schüler ganz anders erleben konnten. Hier verknüpfte sich die Rolle der Sozialpädagogen, den Ganztag zu organisieren mit der Möglichkeit, Schülerinnen und Schülern Entwicklungsmöglichkeiten fern von Unterricht zu geben. Also Lehrer und Eltern zu finden, die passende Angebote machen konnten und Schülern bei der Wahl zu helfen, in einer AG Themen und Hobbys kennen zu lernen, die sie in ihrer Entwicklung voran bringen konnten.
Die Aufgabe bestand auch darin, die Arbeit von Sozialpädagogen in die Schule zu integrieren: nicht als fünftes Rad am Wagen, nicht als Lückenbüßer für Unterrichtsausfall, nicht als untergeordnetes Personal mit eingeschränkten Rechten. Und so wandelte sich die reine Anwesenheitspflicht für Sozialpädagogen in den Lehrerkonferenzen ohne Stimmrecht (!!) dann bald in eine gleichberechtigte Mitgliedschaft in der Lehrerkonferenz. Wenn die unterschiedlichen Ressourcen unterschiedlicher Berufsgruppen genutzt werden sollen, müssen die verschiedenen Gruppen integriert werden: jede mit der Möglichkeit, ihre Fähigkeiten einzubringen. Manchmal spricht man auch von Integration…
Das ist natürlich verwirrend, denn Lehrer sind nicht nur Wissensvermittler, sondern auch Pädagogen und Sozialpädagogen eben auch Pädagogen. Die verschiedenen Schwerpunkte zu unterscheiden und gleichzeitig beide für die Schüler nutzbar zu machen ist eine ständige knifflige, also interessante, und gewinnbringende Aufgabe. Für die aktuelle Generation der Lehrer und Sozialpädagogen sind wesentliche Vorarbeiten geleistet worden, die sich in der täglichen Arbeit an den meisten Schulen unseres Landes umsetzen.
Text: Jürgen Krüger und Gregor Preis