Die ersten Wochen der Gesamtschule Wulfen

Aus gsw-geschichte.de
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von Walter Heinzmann

 

Am Montag, dem 30. Juli 1973, dem ersten Tag des neuen Schuljahres sollte das Abenteuer beginnen, der Start der neuen Schule im Ortsteil Barkenberg, der Gesamtschule Wulfen. Es war eine der ersten Gesamtschulen überhaupt, nachdem 1969 die ersten sieben Schulen in NRW gestartet waren. 

Die Vorbereitungen für den Start der Schule fanden schon über zwei Jahre vorher statt. An diesen organisatorischen, aber auch didaktischen Sitzungen konnten alle Lehrer, die an der neuen Gesamtschule interessiert waren, teilnehmen. Einige Lehrer wurden dazu auch gezielt vom damals zuständigen Recklinghäuser Schulrat Iserloh ausgewählt und zu den Treffen nach Wulfen geschickt. Ich selber war zuvor bereits einige Jahre an Schulen in der Nachbarstadt Marl tätig gewesen, hatte von dem für mich spannenden Thema der Neugründung gehört und nahm seit 1972 an den Treffen teil.

Besprochen wurde das Konzept der Gesamtschule: „Eine Schule für alle“. Es herrschte eine ungeheure Aufbruchsstimmung. Manches an pädagogischen Vorstellungen konnten wir uns bei anderen Schulen - Hauptschulen und Gymnasien - aber auch bei den schon bestehenden Gesamtschulen abgucken, aber vieles musste selbst erarbeitet werden. Begleitet wurden wir dabei von einem Team der Gesamtschule „Friedensschule Münster“. Auch Sitzungen der einzelnen Fächer gab es bereits, in denen Lehrpläne erörtert und beschlossen wurden, da es keine zentralen Vorgaben des Landes für den Fachunterricht an Gesamtschulen insbesondere für die integrierenden Fächer (Naturwissenschaften, Gesellschaftslehre) und den Umgang mit der heterogenen Leistungsfähigkeit der Schüler gab.

Die Sitzungen fanden entweder in der Blauen Schule, der seit 1967 existierenden Grundschule, oder im Büro von Herrn van Lück statt, das sich über dem Durchgang vom Handwerkshof – neben dem späteren Edeka - zum Parkplatz befand. In diese Räume zog später eine Zahnarztpraxis ein, die sich erweitern musste.

An die erste Sitzung Mathematik im Herbst 1972 konnte ich mich erinnern, zu der die Amtsverwaltung Dorsten eingeladen hatte. Sitzungsleiter war Herr Brand vom Sportamt, der aber schnell die Leitung an Herrn Sternemann, den zukünftigen stellvertretenden Schulleiter, abgab. Hier wurde etwa beschlossen, dass wir mit dem Thema Mengenlehre anfangen wollten.

Die Gemeinde Wulfen - damals selbstständig - hatte in dieser Zeit schon die Schulleitung gewählt: Schulleiter sollte ein Bewerber werden, der allerdings sein neues Amt dann doch nicht antrat. Herr Sternemann wurde Stellvertreter, Jahrgangsleiter 5 wurde Herr Überbach. Später wurde Herr van Lück als Schulleiter gewählt.

Ich nahm ebenfalls an den Sitzungen der Naturwissenschaften teil. Die Teilnehmer hatten vorher beschlossen, den Lehrplan nach den Teilwissenschaften Biologie, Physik, Chemie auszurichten. Aber in der zweiten Sitzung dieser Runde nahm Herr van Lück zum ersten Mal teil, der die Teilnehmer über ein schottisches Programm informierte, dass einen naturwissenschaftlichen, integrierenden Ansatz hatte. Davon überzeugte er viele Teilnehmer der Sitzung, manche, die nicht überzeugt waren, nahmen an den späteren Sitzungen nicht mehr teil.

Die Zeit verging wie im Fluge. Die meisten der neuen Lehrerinnen und Lehrer, die an der Gesamtschule unterrichten würden, hatten weiterhin ihren üblichen Dienst an ihren bisherigen Schulen zu versehen. Aber der Starttermin zum Schuljahresbeginn 1973/74 war von der Gemeinde gesetzt.

 Ich wurde also versetzt an die neugegründete Gesamtschule und sofort Klassenlehrer der 5.2. Es gab am Montag, dem 30. Juli, ein erstes Treffen mit den Klassen in der Blauen Schule, die zeitgleich ja schon seit 1967 Grundschule war. Von unserer Wohnung in der Barkenberger Allee, in der wir seit einem Jahr lebten, war der Treffpunkt über die noch kleinen Bäume und Sträucher hinweg gut zu sehen.

Die Grüne Schule, die übergangsweise eigentlich der erste Lernort für uns sein sollte, war noch nicht ganz fertiggestellt. Das Gebäude der heutigen Gesamtschule hatte noch nicht einmal einen Grundstein. Trotz der Schulneugründung und eines kleinen feierlichen Aktes, war ich nicht besonders aufgeregt.

Wir trafen uns auf dem Schulhof der Blauen Schule (Barkenbergschule) – Eltern mit ihren Kindern und die künftigen Lehrerinnen und Lehrer.

Der Schulleiter Willi van Lück stellte uns vor:

Klassenlehrer: Christa Bieker (Rohde)-5.1, Walter Heinzmann-5.2, Johanna Überbach-5.3, Manfred Nitschke-5.4, Rolf Hopp-5.5, Ursel Kipp-5.6. Als Fachlehrer fungierten: Franz Sternemann, Olaf Nüschen, Wolfgang Tripptrap, Herbert Niedrich, Hein Pettenpohl, Walter Überbach, Siegfried Raupach und Manfred Schlüter.

Es war also ein sehr kleines und sehr junges Kollegium, tatendurstig und voller Aufbruchsstimmung.

Die einzelnen Klassen mit ihren Schülern wurden aufgerufen: Meine 5.2 sammelte sich, und ich führte sie in einen Raum der Blauen Schule. Dort wurden noch einmal die Namen des Pilotjahrgangs verlesen. Ich kannte die Schüler alle nicht und hatte zunächst auch keinen Eindruck - der kam erst später. Ich selbst stellte mich vor: Neu-Barkenberger, Vater zweier Kinder, seit 6 Jahren schon als Lehrer in den Klassen 5 bis 8 tätig.

Dann wurde der nächste Tag besprochen. Es stand eine Fahrt der gesamten Schule nach Winterberg ins Bochumer Landschulheim mit Bussen an. In Winterberg würden wir ganze zwei Wochen bleiben, da wir das Gebäude der Grünen Schule noch nicht beziehen konnten. Nach einer halben Stunde war das erste Treffen mit den Schülern vorbei – ohne große Auffälligkeiten. Zum Teil hatten die Eltern auf dem Schulhof gewartet.

Nach 14 Tagen waren Schüler und Lehrer wieder aus Winterberg zurück, aber die Grüne Schule war noch immer nicht fertig. Der Gebäudeteil nahe der evangelischen Kirche war sogar erst 1974 bezugsfertig. Herr Sternemann hatte versucht, die Arbeiten zu beschleunigen und die Gewerke anzutreiben, während die Schüler zur Klassenfahrt unterwegs waren - dennoch mussten wir uns damit begnügen, was fertiggestellt war. Am Sonntag vor dem Schulbeginn gab es zu allem Überfluss noch einen Wasserschaden in der Schule. Der Keller war vollgelaufen und die Lehrer wurden herbeitelefoniert, um das Wasser mit Schaufeln und Eimern aus dem Gebäude zu schaffen.

Wir zogen also in die Grüne Schule ein. In den sechs Klassenräumen im Obergeschoss konnte unterrichtet werden. Auch die Fachräume im Erdgeschoss für NW Kunst und Technik funktionierten - jedoch hatten alle Räume keine Türen, so dass der Unterricht für alle einsehbar war: eigentlich ein hochmodernes Konzept.

Gegessen wurde im Keller, dem atombombensicheren Luftschutzkeller, das Essen wurde von einem Caterer angeliefert und aufgewärmt. Das Ganztagsangebot - eine sensationelle Neuerung gegenüber den alten Schulformen - nahmen die Schüler gerne an: das Areal der Schule zu erkunden, Ballspiele, Tischtennis, AGs etc. Der Unterricht ging von 8 bis 16 Uhr, der Dienstagnachmittag und der Samstag waren schulfrei.

Das Kollegium traf sich öfter auch außerhalb der Schule, es wurde Fußball gespielt, eine Kegelrunde entstand. Es war ein gutes Zusammensein mit den Kollegen, aus denen sich oft auch private freundschaftliche Kontakte entwickelten, die bis heute anhalten.

Während sich im Pilotjahrgang sechs Klassen mit jeweils ca. 30 Schülern befanden, änderte sich dies im nächsten Schuljahr, als eine 7. Klasse der Pilotjahrgangs gebildet wurde.

Im Schuljahr 1974/ 75 wurden wieder schon 6 Klassen aufgenommen wurden. Dadurch wurden auch mehr Lehrer benötigt. Mehr als zehn weitere Lehrer kamen entsprechend im nächsten Schuljahr dazu. 

Auch von der Blauen Schule wurden drei Grundschulklassen in die Grüne Schule ausgelagert, so dass jetzt tatsächlich ein Raummangel für die Gesamtschule entstand. So wurde der Fachunterricht für die Naturwissenschaften im Schonebeckshof, auf der anderen Seite des Napoleonsweges, durchgeführt. In den dortigen drei Räumen: im Flur, in der guten Stube und in der Küche des ehemaligen Bauernhauses saßen für ein Schuljahr auf einmal Schüler.

Auch für 2 Kollegen, die noch keine Wohnung in der Nähe der Gesamtschule hatten, ergab sich eine neue Möglichkeit, nämlich auf dem Hof des Bauernhauses ihre Wohnwagen abzustellen und darin zu wohnen.

Am 14. Juli 1974 wurden Schüler und Lehrer aufgerufen, die Grundsteinlegung der Schule zu erleben: Wir gingen über den Napoleonsweg zum künftigen Zentrum, wo sich die neue Gesamtschule befinden sollte. Eine kleine Feier fand dort statt, für deren Ausgestaltung Frau Kipp verantwortlich war. Nach den Sommerferien 1975 wurde dort schließlich der Nordteil des neuen Schulgebäudes fertig, der Umzug konnte stattfinden.

Es war schon recht abenteuerlich, bevor der Schulbetrieb der Gesamtschule beginnen konnte.